Zielgerichtete medikamentöse Therapie
Als bedeutender Fortschritt für die Behandlung des lokal fortgeschrittenen bzw. metastasierten Nierenkrebs gilt die Einführung der so genannten zielgerichteten Medikamente, die in verschiedene Signalwege des Tumorstoffwechsels eingreifen und deshalb gezielt gegen bösartiges Gewebe wirken. Bei der Entstehung von Nierenzellkarzinomen spielen Wachstumsfaktoren wie VEGF (vascular endothelial growth factor) und PDGF (platelet-derived growth factor) eine entscheidende Rolle. Sie begünstigen das Wachstum von Blut- und Lymphgefäßen, die den Tumor mit Sauerstoff und Nährstoffen versorgen, und ermöglichen dadurch die weitere Tumorentwicklung. Außerdem gewährleisten die Wachstumsfaktoren den Anschluss des Tumors an den Blutkreislauf und damit seine Ausbreitung in andere Organe. Eine Unterbrechung der Wirkung von Wachstumsfaktoren durch zielgerichtete Therapien kann die weitere Tumorentwicklung aufhalten.
Die Wirkstoffe aus der Gruppe der zielgerichteten Therapien schädigen in erster Linie das Tumorgewebe und verschonen das gesunde Gewebe, weshalb sie im Allgemeinen relativ gut verträglich sind. Trotzdem sollte die behandelnde Ärztin/der behandelnde Arzt mit den speziellen Nebenwirkungen dieser Medikamente vertraut sein, die im Einzelfall doch belastend sein können.
Zur Erstbehandlung von fortgeschrittenem und/oder gestreutem Nierenzellkarzinom ist der Multikinasehemmer Sunitinib zugelassen. Die Entscheidung basierte auf den Ergebnissen einer großen klinischen Untersuchung mit einer großen Zahl von Patientinnen und Patienten, in der der Wirkstoff den Krankheitsprozess erheblich länger aufhalten konnte, als das Immuntherapeutikum Interferon-alpha. Primär wird Sunitinib bei eher günstiger Prognose eingesetzt.
Wenn eine Behandlung mit Sunitinib, Pazopanib oder Bevacizumab mit Interferon alpha keinen Erfolg hatte, ist der Multikinasehemmer Sorafenib zur Behandlung von Patientinnen und Patienten mit fortgeschrittenem Nierenzellkarzinom zugelassen. Sorafenib wird also in der "Zweitlinientherapie" eingesetzt, d.h. nach Versagen einer schon vorangegangenen Behandlung oder als "Erstlinientherapie" bei bestimmten Patientinnen und Patienten.
Ein jüngst zugelassenre Vertreter der Tyrosinkinasehemmer, nunmehr in der zweiten Generation, ist Pazopanib. Es wird wie Sunitinib und Sorafenib ebenfalls oral verabreicht. Indikationen sind die Erstlinientherapie bei geringem oder intermediärem (mittlerem) Risiko. Auch Pazopanib wird in erster Linie bei eher günstiger Prognose verwendet.
Axitinib kann ebenfalls als Tablette eingenommen werden. Es ist die zuletzt zugelassene zielgerichtete Substanz gegen das Nierenzellkarzinom und kann eingesetzt werden, wenn es zum Versagen einer vorangegangenen Therapie mit Sunitinib oder einem Zytokin gekommen ist. Es handelt sich also um eine Substanz für die Zweitlinientherapie.
Tivozanib ist eine Tablette, die über drei Wochen, einmal täglich eingenommen wird, dann folgt eine Woche Pause, bevor ein neuer vierwöchiger Behandlungszyklus beginnen kann. Es kommt prinzipiell für Patientinnen und Patienten mit guter oder intermediärer Prognose in Betracht und kann in der Erstlinien- und Zweitlinientherapie eingesetzt werden.
Der sog. mTOR-Inhibitor Temsirolimus hat sich ebenfalls als wirksam gegen Nierenkrebs erwiesen. Die Substanz ist zur Ersttherapie des fortgeschrittenen Nierenzellkarzinoms bei Patientinnen und Patienten mit schlechter Prognose zugelassen. Grundlage für die Zulassung waren die Ergebnisse einer großen Studie, nach denen Temsirolimus im Vergleich zur Standardtherapie mit Interferon-alpha zu einem signifikanten Überlebensvorteil führt. Es wird intravenös verabreicht.
Diese oral verabreichte Substanz ist zur Zweilinientherapie nach einer Behandlung mit Tyrosinkinase-Hemmstoffen (s.o.) zugelassen worden. Manche Tumore entwickeln Resistenzen gegenüber Tyrosinkinaseinhibitoren, indem sie neue Signalwege bilden oder gesundes, umliegendes Gewebe infiltrieren. So umgehen die Tumorzellen den durch die Tyrosinkinasehemmer ausgelösten Nährstoffmangel. Die Verträglichkeit dieser Substanz scheint relativ gut zu sein.
In der Kombination mit Everolimus (s.o.) ist diese Substanz zur Behandlung von Patientinnen und Patienten mit fortgeschrittenem Nierenzellkarzinom als Zweitlinientherapie nach einer vorhergehenden, gegen vaskulären endothelialen Wachstumsfaktor (VEGF) gerichteten Therapie zugelassen. Nach der aktuellen deutschen S3-Leitlinie stellt diese Kombination in der beschriebenen Situation eine Option gegenüber der Standardbehandlung mit Nivolumab oder Cabozantinib (s.u.) dar.
Dieses oral einnehmbare Medikament ist gegen verschiedene Tyrosinkinasen gerichtet. Es ist sowohl für vorbehandelte Patientinnen und Patienten als auch als Erstlinientherapie bei mittlerem und hohem Risikoprofil zugelassen und stellt nach der aktuellen deutschen S3-Leitlinie von 2017 in der beschriebenen Situation (wie Nivolumab) die Standardbehandlung nach VEGF-Versagen dar. Seit 2018 ist Cabozantinib auch in der Erstlinientherapie für Betroffene mit fortgeschrittenem Nierenzellkarzinom (mRCC) bei mittlerem oder hohem Risiko zugelassen.
(Quelle: Deutsche Krebsgesellschaft)
Aktuell ändern sich in Folge neuester Forschungserkenntnisse die Medikamente relativ rasch, daher kommen vorrangig Kombinationen u.a. aus o.g. und neueren Substanzen zur Anwendung. Die Therapie muss individuell je nach Risikofaktoren festgelegt werden. Die Strategie wird in der Regel in der interdisziplinären Tumorkonferenz besprochen.